Das Chartres Labyrinth ist mit dem kretischen Labyrinth enger verwandt als wir uns das bisher vorstellen konnten, aber wohl immer geahnt haben. Mir ist das bewusst geworden als ich nach Variationen des Chartres Typs gesucht habe.
Ein möglicher Ansatz dazu ist zum Beispiel: Wie mache ich aus dem 11-gängigen Chartres Labyrinth ein 7-gängiges? Aber eines, das dem Original möglichst nahe kommt, bzw. dessen charakteristische Eigenschaften besitzt. Und die drücken sich für mich in der Wegfolge aus: in der Reihenfolge, in der die Wege zur Mitte der Reihe nach abgeschritten werden.
Ich habe schon etliche 7-gängige mittelalterliche Labyrinthe gesehen, aber etwas hatte mich immer gestört. Nun weiss ich, dass es die unharmonische Wegfolge war. Denn es gibt viele (theoretische) Möglichkeiten mit 7 Umgängen die Mitte zu erreichen.
Wie könnte eine harmonische Variante aussehen? Indem ich die zwei äußersten und die zwei innersten Ringe weglasse. Hier die Zeichnung:
Und so sieht dann das 7-gängige Chartres Labyrinth aus:
Wieder zeigt sich die hohe Qualität des Chartres Typs, wenn ich die Barrieren in den geteilten Umgängen wegnehme: Ich erhalte ein „voll funktionsfähiges“ Labyrinth, nämlich das klassische. Hier die Zeichnung:
Es ist zwar ein „weiterentwickeltes“ klassisches Labyrinth, denn es hat eine große Mitte und ist kreisrund. Aber es besitzt die vier Wendepunkte und die „richtige“ Wegfolge für das kretische Labyrinth: 3 – 2 – 1 – 4 – 7 – 6 – 5 – Zentrum. Das ebenfalls typische Grundmuster ist leicht verschoben, aber erkennbar.
Und so sieht das kretische Labyrinth mit kleiner Mitte aus:
Das kretische Labyrinth steckt im Kern des Chartres Labyrinths. Natürlich ging die Entwicklung nicht so schnell und direkt vonstatten. Das dauerte Jahrhunderte. Zwischenschritte waren die römischen Labyrinthe mit der Einteilung in Sektoren und das Otfrid Labyrinth mit der Erhöhung der Anzahl der Umgänge in einem kreisförmigen Labyrinth. Für mich auch das Knidos Labyrinth, weil es die größere Mitte ins Spiel brachte. Der Typus des Chartres Labyrinths entwickelte sich etwa 300 Jahre vor dem Bau des tatsächlichen Labyrinths um 1200 in der Kathedrale von Chartres. Neu ist dabei die Einführung der „Barrieren“, die eine höhere Anzahl von Kehrtwendungen ermöglicht. So bringt es das Chartres Labyrinth auf 28 Wendepunkte gegenüber den 4 im kretischen Labyrinth. Oder anders ausgedrückt: Im Chartres Labyrinth stecken 7 kretische Labyrinthe, im 7-gängigen immerhin noch 4.
Dieser Entwicklungsprozess lässt sich in alten Manuskripten aus dieser Zeit nachvollziehen. Das alles hat letzlich das einzigartige und außergewöhnliche Chartres Labyrinth hervorgebracht. Die Mitte mit den 6 „Blütenblättern“ und die 113 „Zahnräder“ sind dabei (für mich wenigstens) nicht das wesentliche. Das sind die harmonische Gestaltung und die Wegfolge.
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